Montag, 6. November 2017

Gipsy

01.03.1995 – 06.11.2008

   
Nachruf auf den ersten Hund 

Einige von Euch werden dies schon kennen. Als Gipsy 2008 im Alter von 13 Jahren starb, schickte ich sie mit diesem Bericht über die Regenbogenbrücke im Borders-Forum. Dem damals heißesten Treffpunkt für Hütehundinteressierte, offen auch für Altdeutsche Hütehunde.
Nun, neun Jahre später, gehört Gipsy weiter zu meinem Leben und so meine ich, dass ich auch hier von ihr erzählen möchte.

Seit meiner frühesten Kindheit war mein größter Wunsch ein eigener Hund. Aber selbst als die Erfüllung möglich gewesen wäre, verkniff ich ihn mir. Schon lange wusste ich, dass ich Schäferin werden wollte und viele Betriebe nehmen dich Unerfahrenen nicht mit eigenem Hund.
In der Lehre lernte ich erst mal mit erfahrenen Althunden Hüten. Als es dann hieß, die nächste läufige Hündin wird belegt und ich bekomme einen Welpen, war meine Aufregung ins unermessliche gestiegen.
Ich träumte davon mir aus einem Wurf meinen Hund auszusuchen, am liebsten eine schwarze, zottige Strobelhündin mit etwas weiß.
Ja, und dann wurde bis Januar keine der Hündinnen läufig, nun alle auf einmal. Jetzt war ein Decken unmöglich, da die Welpen in der Hauptreisezeit, in der jeder Hund arbeiten mußte, kommen würden.
Mitte Juni fand sich dann eine bereits 10 Wochen alte Tigerhündin aus einer befreundeten Schäferei. Sie hieß Gipsy, nach ihrer Ururgroßmutter und der Jimi Hendrix Verehrung ihres Züchters.
Nichts war wie ich es mir in meinen Träumen ausgemalt hatte. Gipsy war kurzhaarig, braun-dunkelbraun getigert mit weiß und stehohrig. Ich war verliebt.
Ein kleiner frecher Teufel und blitzgescheit dazu.

Gipsy, 4 Monate, Anna, 19 Jahre
Gipsy wuchs zu einer fröhlichen, überschäumenden Junghündin heran, liebevoll genannt Gräte Rübennase (Gräte wegen ihrer langen Grätenbeine).

Gräte Rübennase

Sie war begeistert an den Schafen und lernte manches mal schneller als ich.
Als ich ihr das Springen zeigte, sprang sie beim Zaunumbauen einfach aus Freude immer wieder hin und her.

Dannewerk, Herbst 1995, Gipsy beginnt die Schafsfront zu wehren. Auf der Außenseite läuft der Haupthund

Dosenmoor, Sommer 1996, Gipsy auf der Außenseite, zu erkennen an ihren spitzen Ohren

Beim Laufen lassen der Betriebshunde, rumpste sie absichtlich gegen die Leithündin, um dann schon weit weg zu sein, wenn diese knurrend nach dem Übeltäter Ausschau hielt.
Solch Schabernack machte Gipsy einfach Spaß, ohne dass sie je Interesse an der Führungsposition im Hunderudel hatte.

Schafsberg, Winter 1996, das Hütehunderudel: Border Collie "Racki", Altdeutsche Hütehunde "Gipsy", Gelbbacke "Biene" und deren Mutter Tiger "Fanny"

Als Gipsy etwas über ein Jahr war, meldete mich mein Meister zum Frauenleistungshüten bei Harald Höfel auf dem Heuberg an. Zu dem Zeitpunkt lief Gipsy noch nicht die Außenseite und Stand auch noch nicht auf Entfernung, das motivierte.

Gipsy an der Ecke...

...stehen bis zum Schluß

und gucken ob nicht noch irgendwo ein Tier im Graben hängt

Drei Monate später schafften wir dann tatsächlich als zwei Lehrlinge unter all den Schäferinnen den zweiten Platz und Gipsy beeindruckte besonders durch den sichtlichen Spaß den sie bei der Sache hatte.
Leistungshüten bei Harald Höfele auf dem Heuberg 1996, Auszug aus dem Engen Gehüt

Gipsy hat sichtlich Spaß

Preisverleihung, 2. Platz



Zwei Jahre später dann wurden wir sogar erster.

1998, Heuberghüten

Nach der Lehre gings erstmal für zwei Monate mit Freundin im Auto durch die USA. Die Amerikaner bewunderten Gipsy für ihre freundliche, ruhige Art und ihren gehorsam, denn Hundeerziehung schien da weitestgehend ein Fremdwort.
Gipsy passte auf uns auf, besonders Nachts, wenn wir im Auto übernachteten.
Sie lief sich am Grand Canyon die Pfoten wund, badete im Pazifik, spazierte durch das nicht mit Worten zu beschreibend schöne Montana und sah die Niagarafälle.

Texas 1997

Pazifik, Trinidat


einmal um die Welt!

Grand Canyon

Washington State, Wild Horses monument, wir rennen mit



Zurück im Schäferalltag wandelten wir eine reine Koppelherde in eine Hüteherde.

1998

Gipsy arbeitete mit sehr viel Überblick.

1999, Dummersdorfer Ufer, Gipsy auf der Außenseite
 
Eine Grenze bei starkem Schafsdruck zu halten, war nicht ihre Stärke, da gab sie schonmal nach.
Von Ziegen ließ sie sich aber nie einschüchtern, im Gegenteil, sie geierte nach ihnen und diese sonst so frechen Biester waren ihr gegenüber Lammfromm.
 
Gipsys große Leidenschaft war die Sortieranlage, dort arbeitete sie Druckstark auf engstem Raum.
Auch die Schafe im Winter aus dem Stall zu treiben, damit wir einfüttern konnten, gehörte zu ihren Spezialitäten. Da konnte das Mutterschaf noch so renitent sein, sie bewegte es und wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen an das danebenstehende Lamm zu gehen.

Schafsberg 1999, Schafe mit kleinen Lämmern aus dem Stall treiben zum Einfüttern




Beim Wiederreinlassen in den, mit Hafer eingefütterten, Stall hielt sie die Schafe bis direkt vors Tor und sicherte dann ihre Torseite, so dass sich kein Schaf am Eingang drückte.


Ihr zweiter Spitzname war Hühnerretze. Zu dem kam sie, weil sie zu gerne ganz entspannt an einer Gruppe scharrender Hühner auf dem Hof vorbeilief, um dann plötzlich mitten hinein zu springen. Da stand sie dann lachend, das aufgeregt gackernde Spektakel beobachtend.

Ihre große Liebe unter den Hunden war der Border Collie Racki des Schäferkollegen. Die beiden waren immer zusammen, außer wenn Gipsy Heiß war und sie erlaubte auch keinem anderen Hund das Spielen mit Racki. Noch Jahre später freute sie sich über jeden schwarz-weißen kleineren Hund und blickte sich suchend um, wenn man „Racki“ sagte.

Gipsy, Katze Smilla, Border Collie Racki

Als meine Katze nicht genug für ihre Babys hatte, sprang Gipsy ein, bildete Milch aus und übernahm die Pflege.

1997 Gipsy übernimmt Smillas Babys


Gedeckt wurde sie von einem gelbbackigen Strobel.

1995, Gipsy und Strobel Schorsch, beide 9 Monate alt

Mit dem hatte sie zuvor auf der Grünen Woche in Berlin in gemeinsamen Hütevorführungen die vom Aussterben bedrohten Tierarten des Jahres 1998, die Weiße Gehörnte Heidschnucke und den Altdeutschen Hütehund, repräsentiert.

1998. Berlin, Grüne Woche




Gipsy war Fremden gegenüber sehr zurückhaltend. Sie ließ sich zwar streicheln, zeigte aber in all ihrem Ausdruck, dass sie das nicht wollte. In jüngeren Jahren versuchte sie, die Leute auch gerne nach solch einer Streichelattacke von hinten zu knapsen.
Manch einen Praktikanten und auch meinen angehenden Mann trieb sie zur Weißglut, wenn sie einfach ihren Schuh durchzog. Ich sehe sie noch, wie die Praktikantin vor ihr steht und sie ausschimpft. Und Gipsy lacht sie aus, mit diesem typischen Grinsen im Gesicht und dazu ein Jaulen, dass jeder verstand.
Mochte sie jemanden, dann gab sie gönnerhaft ihre Aufmerksamkeit. Begrüßte durch ihr einzigartiges Heulen und sich auf den Rücken legend forderte sie zum Bauchkraulen auf. Wirklich jeder, der ihre Gunst besaß, fühlte sich dadurch geehrt.


Einmal hatte die ranghöchste Betriebshündin Biene sich einen verbotenen Knochen geklaut. Ich war so doof, und packte die Hündin am Nacken, damit sie ihre Beute wieder freigab. Diese ließ den Knochen fahren und ging auf mich los, zerbiß meine Hose und dann war Gipsy da, stellte sich dazwischen und wehrte ihre wütende Chefin von mir ab.

mit Biene

Überhaupt waren Gipsy und ich uns lange so nahe, dass ich mir ein Leben ohne sie kaum vorstellen konnte.
Sie war immer an meiner Seite, ob privat oder beruflich.

1999, Flaschenlamm Mowgli gehört dazu
 
Sie konnte auf jede Party mit, lief auf dem Bürgersteig, während ich mit dem Fahrrad auf der Straße fuhr, stand auf Zuruf.
Mit sieben Jahren bekam sie noch ein zweites mal Welpen, fast gleichzeitig mit meinem ersten Kind.

2002 nochmal Mama

Und dann ereilte mich das was jeden Hundefreund ereilt.
Die üble Erkenntnis, dass ein Hundeleben so viel, viel kürzer ist, als das eigene.
Ich selbst war noch mitten in meinem Muttersein, als sie schon alte Oma wurde.
Mit zehn Jahren machte sie mir auf die gleiche Weise, wie sie mir schon immer ihren Willen deutlich gemacht hatte, klar, dass sie ihr Leben nun lieber bei ihrer Urlaubsbetreuung weiter leben wollte.
Kein lärmendes Kinder-jüngere-Hunde-und-gestreßte-Eltern-Haus mehr.
Sondern Ruhe als Einzelhund bei älteren Leuten, mit gemütlichen Spaziergängen, einem eigenen Bett, Sofortbeschmusung nach Aufforderung, Spezialernährung und Leberwurstbrot.
Ich konnte es ja verstehen und sie war nicht aus der Welt.

Gipsy mit zwei Kindern, Benne und Bode

Dort lebte Gipsy die letzten dreieinhalb Jahre ein ruhiges beschauliches altengerechtes Leben, das letzte halbe Jahr an allen Beinen und dem Rücken vergoldet.


Nun, mit 13,5 Jahren, ging es ihr letzte Woche plötzlich schlechter, sie erbrach sich, war schlapp, es wurde Magenverstimmung vermutet und mehrere Tierärzte konsultiert.
In der Tierklinik diagnostizierten sie Gebärmutterentzündung, meinten aber auch gleich, dass man sich die OP gut überlegen sollte, denn es sei unwahrscheinlich das der Hund diese überlebte.

An ihrem letzten Abend war ich zum Verabschieden.
Gipsy wirkte ganz entspannt, obwohl sie bereits nicht mehr auf die Beine kam. Etwas stresste sie meine Anwesenheit und die viele Besorgnis die im Raum hing. Zwischen ihrem wegdösen warf sie immer wieder besorgte Blicke zu ihrem jetzigen Frauchen.
Alle hofften wir, dass sie in der Nacht alleine den Weg finden würde.
Aber nun kam doch die Tierärztin zu ihr nach Hause.
Ich war nicht dabei, ich wollte nicht noch mehr Aufregung in diesen Raum bringen.

Und nun weiß ich nicht!
Ich dachte, dadurch das sie so lange wo anders gelebt hatte wäre es leichter...

Jetzt sehe ich sie, wie sie da über die Regenbogenbrücke neben meinem Schwiegervater her marschiert. Er langsam und bedächtig mit der Leckerlitasche in der Hand. Aus dieser wird sie genau zehn bekommen, da wir sonst vielleicht Mecker nach oben schicken. Sie geht neben ihm, mit durchhängender Leine, ihre goldenen Augen auf sein Gesicht geheftet, den Schwanz hoch erhoben, sich selbst bremsend, um auf seine alten Schritte Rücksicht zu nehmen.

Ich wünsche ihnen viel Spaß!“

Neun Jahre ist das her und es treibt mir die Tränen in die Augen das zu lesen. Dabei ist die Trauer längst vorbei, auch die Erinnerung an die alte Gipsy. Nun ist sie wieder jung, so jung wie ich damals war.


Sie gehört untrennbar zu meiner Jugend.
Vorbei ist die Zeit, dass ich einen Nachfolger für Gipsy suche. Jeder Abkömmling von ihr bleibt genau das, ein Abkömmling. Ich kann Dinge von ihr in ihnen sehen, mich daran erfreuen, aber es ist nicht sie.
Es gibt viele Nachkommen von ihr, manche sind grandiose Hütehunde geworden, andere grandiose Familienhunde.
Gipsys Platz an meiner Seite haben nun Ylva und Lille.
Lille ist tatsächlich um viele Ecken mit ihr verwandt, ein kurzhaariger Tiger.
Und doch hat er wenig Ähnlichkeiten mit seiner Urahnin, besetzt einen anderen Platz in meinem Herzen.


Gipsy und ich.
Forever young.